Vom Zauber der Einstimmigkeit in den letzten Stunden von Bonn
Auch wenn man bei manchen Querelen und Vetos geneigt sein mag, das Prinzip der Einstimmigkeit so schnell wie möglich hinter sich zu lassen, zeigten die Verhandlungen in Bonn doch, was möglich ist, wenn sich alle Delegationen einig sind, zu einem Ergebnis kommen zu wollen. Fast in allen Fällen lassen sich Formulierungen finden, die einen Kompromiss bedeuten; man ist gezwungen wirklich alle Delegationen mitzunehmen. Eine Schlüsselrolle kommt dabei der Kreativität des Sitzungsleiters zu, muss er doch ständig neue Kompromissvorschläge vorlegen. Mag das auch bei diesen Verhandlungen deutlich einfacher gewesen sein, da keine Delegation die Ergebnisse zu Hause wirklich ihrem Volk vermitteln muss, führt das Verfahren doch dazu, dass alle Delegierten mit einem guten Gefühl nach Hause gehen.
Auf jeden Fall haben die Verhandlungen in Bonn gezeigt, dass sich das Machtgefüge der Welt verschoben hat. Europa spielt keine dominante Rolle mehr. Vielmehr bringen sich Staaten wie China, Indien oder die Entwicklungsländer viel stärker ein und prägen damit die Debatte.
12.04.2010, 01:35 Uhr
Die Verhandlungen sind zu Ende. Nachdem kurz vor Mitternacht die AWG-LCA (Ad Hoc Working Group on Long-term Cooperative Action under the Convention) ihr Abschlussdokument verabschiedet hatte, begann die letzte Sitzung der AWG-KP (Ad Hoc Working Group on further Commitments for Annex 1 Parties under the Kyoto Protocol) im Saal nebenan. Delegierte können sich eben auch nicht zerreißen. Nachdem auch hier vor dem Ende noch eine Verhandlungspause eingesetzt wurde, fiel um 1:34 Uhr dann endlich der Hammer. Wesentliche Konflikte, die in der letzten Verhandlungspause der AWG-LCA (23:30 Uhr) geklärt wurden waren:
Papua-Neuguinea (PNG) versus Pakistan (PK): Es ging um den Paragraphen, der lautete: "Die AWG-LCA lädt die Tagung in Bonn im Juni ein, ein weiteres Treffen auf höchster Ebene festzulegen, um über hochrangige politische Fragen zu entscheiden." PK forderte die Streichung des Paragraphen; daraufhin wurde die Formulierung in "Die AWG-LCA nimmt Kenntnis vom Vorschlag…" geändert. PK forderte nun aber auch noch die Streichung des letzten Teilsatzes, was PNG nicht zuließ, da sie Angst davor hatten, dass es nur zu einem technischen Treffen der Regierungschefs kommen würde. PNG drohte dabei sogar damit sämtliche Vereinbarungen des Treffens für die weitere Terminfindung platzen zu lassen.
Mexiko (M) versus Afrikanische Länder (AFR): Hier ging es darum, ob es ein Treffen der Ad-Hoc-Working-Groups in Mexiko geben soll. Vor dem Hintergrund offensichtlich traumatischer Erlebnisse in Kopenhagen, wollten AFR unterstützt durch Saudi-Arabien auf jeden Fall ein Treffen der Arbeitsgruppen in Cancun (Mexiko) festsetzen, da sie Angst hatten sonst übergangen zu werden. M verbat sich jedoch unterstützt durch Spanien (EU-Präsidentschaft) jegliche Einmischung in die Vorbereitung der Konferenz, um die Erfolgschancen zu erhöhen und keinen Bremsklotz mitschleppen zu müssen. Die Sitzungsleiterin schlug dann Kompromisse vor (Sitzung in Cancun, "if necessary"; abgelehnt –> Änderung in "as necessary"; angenommen von M, abgelehnt von AFR; Gegenvorschlag "if it didn't conclude its work before" abgelehnt von M; daraufhin wurden sämtliche Streithähne vor die Türe geschickt, um das in direktem Gespräch zu klären - letztendlich mit Erfolg. Die EU gab dabei ihren Standpunkt auf.
Wer sich die letzten Minuten zu diesen Punkten noch mal anschauen will, kann das unter http://unfccc2.meta-fusion.com/kongresse/100409_AWG/templ/play.php?id_kongresssession=2623&theme=unfccc tun.
Hier die Dokumente, die bei den Abschlusssitzungen verhandelt wurden:
Entwurfstext AWG-KP Entwurfstext AWG-LCA
Schlussdokument AWG-KP Schlussdokument AWG-LCA
Nachdem Mexiko dafür plädiert hatte, das Dokument als Ganzes zu verhandeln, setzte Saudi-Arabien durch, dass Paragraph für Paragraph durchgegangen und beschlossen wird. Die USA waren darauf bedacht keine neuen UN-Prinzipien einzuführen, so dass der Paragraph "to work in a manner that adheres to the principles of the United Nations" nach mehreren Kompromissvorschlägen schlussendlich gestrichen wurde. In Paragraph 5 konnten die G77 ihren Vorschlag unter anderem gegen Russland durchdrücken, nachdem die Sitzung wohl deshalb um mehrere Stunden verschoben worden war, da sich die G77 nicht über diesen Punkt einigen konnte. Streitpunkt war, dass Russland die Ergebnisse von Kopenhagen stärker als Verhandlungsgrundlage einbeziehen wollte und die G77 nicht. Kompromiss war, dass man es so schreibt wie die G77 will, die Sitzungsleiterin es aber im Sinne Russlands auslegt. Allgemein wurden hier die verschiedensten Dokumente noch als Verhandlungsbasis hinzugefügt. Insgesamt finden sich jedoch die Punkte, die für Yvo de Boer wichtig waren, im Vertrag wieder (z.B. dass der Vorsitzende Vorschläge unterbreiten darf)
Das lange Warten auf die Abschlusssitzungen war übrigens ein schlechtes Zeichen. Wie wir bei einem geschlossenen Treffen der G77-Gruppe und China erfahren konnten (Tipp: Namensschild mit Aufdruck "Nongovernmental" verstecken und zügig am Türsteher vorbeigehen), war sich insbesondere diese Gruppe in wesentlichen Punkten uneinig, so dass das erste Plenum am letzten Tag abgesagt und das zweite erst 4 Stunden später als geplant starten konnte.
11.04.2010 Mittag
Informelles Treffen der Ad-Hoc-Working-Group LCA abgesagt - Ein gutes Zeichen? Alle Spannung richtet sich nun auf die Abschlussplenen der beiden Arbeitsgruppen um 15:00. Aus einem zufaellig entdeckten Entwurf fuer das Abschlussdokument geht hervor, dass das UNFCC-Sekretariat auch ermaechtigt werden soll, bis zum naechsten Treffen die in Folge von Kopenhagen eingegangenen Zusagen der Staaten so mit dem Stand der Wissenschaft zu verknuepfen, dass der daraus folgende Temperaturanstieg berechnet und vorgelegt werden kann. Untersuchungen sehen bei Einberechnung der hoechsten gemachten Zusagen die Welt auf einem +3-Grad-Pfad.
10.04.2010 Abend
Keine Fortschritte in Bonn. Durch Sitzungsleiter vorgeschlagene Entwürfe sehen keine Fortschritte in Klimaschutzbestrebungen vor. Lediglich das weitere Vorgehen in diesem Jahr wird geregelt. Außerdem sollen die Sitzungsleiter die Möglichkeit bekommen, in Zukunft eigene Entwürfe vorzulegen. Nach der Bonn-Konferenz im Juni soll es zwei weitere Treffen vor Mexiko geben.
Hier Beobachtungen aus der AWG-KP (Ad Hoc Working Group on Further Commitments for Annex I Parties under the Kyoto Protocol): Zu Beginn der Sitzung bemerkt der Vorsitzende, dass noch viele Plätze unbesetzt sind und spricht davon, dass sich eine Tragödie ereignet hätte. Er erteilt dem Vertreter der EU (Spanien) das Wort. Er berichtet, dass die polnische Präsidentenmaschine bei Smolensk abgestürzt sei und man nicht wisse, wer getorben sei. Dies würde die gesamte EU sehr bestürzen. Der Vertreter Deutschlands hat sich neben Spanien in die letzte Reihe direkt vor die NGO-Vertreter gesetzt, an seinem Namensschild liegt ein Apfel. Auch hier meldet sich Deutschland nie zu Wort, die EU spricht mit einer Stimme und hält es im Gegensatz zur G77 nicht für nötig diese Stimme 50 Mal zu wiederholen. Ebenfalls in der letzten Reihe sitzen die zwei Amerikanerinnen kaugummikauend und etwas desinteressiert vor ihren Laptops und protokollieren. Auch sie beteiligen sich nicht.
Heute Nachmittag hatten wir die Moeglichkeit an einem Treffen mit den Sitzungsleitern und Yvo de Boer teilzunehmen Bericht. Es wird erwartet, dass es auch in Mexiko kein rechtlich verbindliches Abkommen geben wird (siehe Zitat unten).
09.04.2010 Mittag
In den ersten Sitzungen wird klar, dass in Kopenhagen viel Vertrauen zerstört wurde; alle Mitglieder der G77 und China (hauptsächlich afkraikanische Staaten) betonen, dass alle Nationen an den Verhandlungen beteiligt werden müssen. Saudi-Arabien will, dass das Sekretariat keine Verhandlungsgrundlage liefern darf, sondern die Delegierten anleiten muss, einen Text zu verfassen. Es wird sich zeigen, dass Saudi-Arabien diese Position duch seine Einbindung in die G77 aufgeben werden muss. Weitere Ländergruppen sind die EU, die Umbrella Group (USA, Australien, Russland, Japan, Ukraine), Afrika, die Environmental Integrity Group (Schweiz, Korea, Mexiko), die Alliance of Small Island States, die Mittelmeerländer sowie die Least Developed Countries. Länder können in mehreren Gruppen Mitglied sein.
Zitate des Tages
"Make noise as much as you can" Margaret MUKAHANANA-SANGARWE, Zimbabwe,
Chair of the Ad Hoc Working Group on Long-term Cooperative Action under the Convention
(im Gespräch mit NGO Vertretern)
"I think we are moving backwards" John ASHE, Antigua and Barbuda,
Chair of the Ad Hoc Working Group on further Commitments for Annex 1 Parties under the Kyoto Protocol
(nach stundenlangen ergebnislosen Verhandlungen)
"Even in my wildest dreams I cannot imagine that we will see a legally binding agreement in Mexico"
Yvo de Boer, Executive Secretary der UNFCCC (im Gespräch mit NGO Vertretern)
"I want to remind delegates, that this is one of the easiest paragraphs, and if we need so much time on this, than we won't be able to finish our work on time"
Margaret MUKAHANANA-SANGARWE, Zimbabwe,
Chair of the Ad Hoc Working Group on Long-term Cooperative Action under the Convention
(nach 30-minütiger Beratung eines nichtigen Paragraphen sowie der Raisonierung der USA, was die Prinzipien der Vereinten Nationen sind, ob sie etwas mit diesen Verhandlungen zu tun haben und ob man nicht auf diesem Wege vielleicht ein paar neue Prinzipien schaffen könnte)
"May we help you?" (Gelächter im Saal) "We have two options!" (Noch mehr Gelächter im Saal) "No, we have to be serious!" (Applaus im Saal)
Delegierter aus Saudi-Arabien versucht der Sitzungsleiterin unter die Arme zu greifen und schlägt unter anderem die Streichung des Paragraphen vor
"Anyone opposed to deletion? No, so decided"
Reaktion der Sitzungsleiterin auf den Beitrag Saudi-Arabiens nach 45-minütiger Beratung über diesen Paragraphen
"It's getting worse, instead that it's getting better"
Reaktion der Sitzungsleiterin auf die Drohung Papua-Neuguineas zwei zentrale Pargraphen zu streichen, wenn nicht auf ihre Forderung eingegangen wird
Aufgegriffene Notiz aus der AWG-KP über das Kopenhagen-Dilemma
"Mr Chair, Secondly, many of the Parties have spoken about Copenhagen outcome and its relevance to our work. Let me make it clear. Copenhagen Accord is not a template either in LCA track or KP track. It is only an input.
The level of emission reductions announced by Annex 1 Parties in the context of Copenhagen falls much that of the required level of ambition. Deep reductions of the order of at least 48% below 1990 level are essential to achieve the global goal. The Annex 1 Parties must focus on committing on reductions that can achieve this. This should be done unconditionally and without linking it with issues outside KP."
Links zu ausführlicheren Berichten
Sonstiges
Die Klimaskeptiker aus den USA haben ihren Stand direkt vor dem Hauptsitzungssaal aufgeschlagen. Ein Mathemathiker aus Cambridge rechnet einem gerne auch auf seinem Taschenrechner vor, was bei einem Abbruch der Verhandlungen an Temperaturanstieg zu erwarten sei uind raet zum Abwarten. Die Organisation finanziere sich jedoch kaum aus Unternehmensspenden.
Am Freitag morgen hat ein NGO-Buendnis um Germanwatch symbolisch einen Scherbenhaufen vor dem Konferenz-Gebaeude angehaeuft, am Samstag hat die Klimawelle Erdbaelle auf einer von Eisbaeren und Industrievertretern gehaltenen Plane hin- und hergeworfen. Immer da sind die Ostasiaten (Chinesinnen?), die in Huehnchen-Kostuemen fuer ein veganes Leben eintreten.
Als kleine verhältnisverbessernde Maßnahme könnte man die Schilderfarben verstehen, hinter denen die Delegierten sitzen. Staaten, die das Kyoto-Protokoll ratifiziert haben, die so genannten COP-Mitlieder, dürfen hinter schwarzen Schildern mit weißer Schrift sitzen. Die so genannten MOP-Mitglieder, nur eine Handvoll, wird hingegen hinter weiße Schilder mit schwarzer Schrift gesetzt. Es handelt sich dabei um zweifelhafte Staaten wie Palästina, Afghanistan, Irak, Vatikan oder USA. Ein Schurkenstaat, wer da an die Achse des Bösen denkt.
Viele Grüße aus Bonn von Germar und Felix